„Transformation braucht breiten Konsens“

16.12.2021

Bildquelle: ©MWIDE NRW/Susanne Kurz

Die „Düsseldorfer Erklärung“ gilt als Auftrag, die nordrhein-westfälische Industrie erfolgreich zu transformieren. IHK-Vizepräsident Lars Baumgürtel unterzeichnete das Konsenspapier und forderte, alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe im Blick zu behalten.

Wie gut ist der Industriestandort NRW für die Zukunft gerüstet? Der dritte „High-Level-Dialog zur Transformation der Industrie“, zu dem NRW-Wirtschaftsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart Anfang Dezember eingeladen hatte, zeigte, dass eine wesentliche Erfolgsgrundlage für die kommenden Jahre des Wandels bereits vorhanden ist: Konsens. Er prägt die „Düsseldorfer Erklärung“, die Spitzenvertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik im Anschluss an den Dialog unterzeichneten. Das Dokument basiert auf dem Industriepolitischen Leitbild der Landesregierung und enthält 17 Stellungnahmen zu Aspekten der Transformation. So sollen beispielsweise der Innovationstransfer vorangetrieben, Planungs-, Genehmigungs- sowie Umsetzungsprozesse beschleunigt und die Bürgerinnen und Bürger stärker in den Wandel eingebunden werden.

Vor der feierlichen Unterzeichnung hatten die 14 Spitzenvertreter aus IHK, HWK, Verbänden, Gewerkschaften, regionalen und Politik über die Stoßrichtung des gemeinsamen Handelns gesprochen. So soll der Industriestandort die Mega-Trends Dekarbonisierung, Digitalisierung und demographischen Wandel – unter verlässlichen Rahmenbedingungen so gut meistern können, dass NRW zu einem Paradebeispiel für die Vereinbarkeit von Wohlstand und Nachhaltigkeit wird.

Ein Ziel ihrer Zusammenarbeit haben die Unterzeichner besonders hoch gesteckt: NRW soll sich bis zum Jahr 2030 zur modernsten, klima- und umweltfreundlichsten Industrieregion Europas entwickeln. Dazu kommt eine Aufgabe, die sich in allen Bundesländern mit der Novellierung des Klimaschutzgesetzes stellt: Klimaneutralität bis 2045. „Wir sind in Deutschland gewöhnt, dass in einem solchen Zeitfenster gerade mal eine Umgehungsstraße fertiggestellt wird, jetzt wollen wir in dieser Zeit unsere Industrie, unseren Energiesektor komplett umbauen“, verwies NRW-Wirtschafts- und Innovationsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart auf die Dimension der Herausforderung. Um sie bewältigen, „brauchen wir einen breiten Konsens und gute Rahmenbedingungen für mehr Innovationen und Investitionen“. Es gelte jetzt, die erneuerbaren Energien noch schneller auszubauen, Leitungssysteme sowie Speicher noch schneller arbeitsfähig zu machen und zugleich Versorgungsicherheit und Bezahlbarkeit zu wahren. „Der Wirtschaftsstandort NRW steht, angesichts der digitalen und energetischen Transformation, vor einem tiefgreifenden Umbruch sowie vor dem Umbau wichtiger Wertschöpfungsketten“, betonte der Präsident von IHK NRW, Ralf Stoffels. Bundes- und Landesregierung sieht er jetzt gefordert, die Bedingungen für eine erfolgreiche Transformation zu entwickeln, so dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten bleibe.

Wandel wird komplex

Dass der Industriestandort NRW aus einer guten Situation, aber nicht von der Pole-Position in die kommenden Jahre durchstarten kann, erklärte der geschäftsführende Gesellschafter der Prognos AG, Christian Böllhoff. Er gab einen Einblick in die vorläufigen Ergebnisse der Studie „Zukunft der Industrie“, die das NRW-Wirtschafsministerium in Auftrag gegeben hatte. Demnach ist der industrielle Sektor nach wie vor eine starke Säule der Wirtschaft in NRW und in Deutschland. Aber: Sie ist in den vergangenen zehn Jahren nicht stärker geworden, stellte Böllhoff fest und verwies auf Bruttowertschöpfung und Exportquoten, die leicht unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Auch im Hinblick auf die Innovationskapazität hätten andere Standorte, wie etwa Baden-Württemberg, noch die Nase vorn. Doch, und das sei die gute Nachricht, ist Innovation auch in der nordrhein-westfälischen Industrie zuhause. Wachstumschancen sieht der Experte für die „großen Schlachtschiffe“ Maschinenbau, Metallerzeugung und Chemie. Sehr gute Perspektiven sagt er unter anderem Entwicklern und Herstellern von elektronischen Bauteilen voraus, die für Datenaustausch und Energiewende relevant sind – etwa für den Aufbau intelligenter Stromnetze. Der Experte machte deutlich, wie komplex der Wandel wird. In mancher Branche werde alles in Bewegung kommen: die Rohstoffbasis, die Energiebereitstellung, die Geschäftsmodelle, die Märkte. Das, betonte Böllhoff, bringe neben Risiken, auch positive Perspektiven. So könne etwa der Einstieg in die zirkuläre Wirtschaft sowohl die Rohstoffsituation verbessern als auch neue globale Vermarktungsmöglichkeiten eröffnen.

Industrie sichtbar machen

Genauso sieht es Lars Baumgürtel, Sprecher der nord-westfälischen Industrie-Initiative und Vizepräsident der IHK Nord Westfalen: „Gerade die doppelte Transformation in den Bereichen ‚Energie‘ und ‚Rohstoffe‘ birgt Risiken, aber auch unglaublich große Chancen“, sagte der Unternehmer. Es müsse aber klares Ziel der Politik sein, dass kein Unternehmen, das Risiken eingehe, auf dem Weg der Transformation unverschuldet aus dem Rennen geworfen werde, betonte Baumgürtel, „und zwar unabhängig von seiner Branche und Größe“. Die „Düsseldorfer Erklärung“ sieht der Geschäftsführer der ZINQ Gelsenkirchen GmbH & Co. KG als „Zeichen, dass wir den Rückhalt aller Stakeholder haben, die hier versammelt sind, und dass wir die Sache gemeinsam angehen.“ Zugleich müsse sich die Industrie selbst sichtbarer machen, um noch mehr Akzeptanz und mehr Partner und zu gewinnen. „Die Produkte kennt jeder, aber wer kennt die Unternehmerinnen und Unternehmer?“, warb Baumgürtel darum, Gesicht zu zeigen in der Öffentlichkeit.

Zustimmung erhielt er von Ralf Stoffels. Der IHK-Präsident und geschäftsführende Gesellschafter der in Ennepetal ansässigen BIW Isolierstoffe GmbH hob die Bedeutung des 13. Punkts der „Düsseldorfer Erklärung“ hervor: Menschen für die Industrie zu begeistern. „Wir müssen vor allem mehr an die kommende Generation denken“, forderte er. Immer weniger junge Menschen könnten sich das Unternehmerdasein vorstellen, auch deshalb, weil die Herausforderung im Zuge der Transformation noch größer werde. „Wir loben alle den Mittelstand als Rückgrat der Wirtschaft, aber wer möchte denn unter diesen Rahmenbedingungen und Regulierungen noch unternehmerische Verantwortung auf sich nehmen?“, mahnte Stoffels und fügte an: „Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass das wieder attraktiv wird.“ Einen Ansatzpunkt, Rahmenbedingungen zu verbessern, sieht er auf europäischer Ebene. „Während wir uns nach der Wahl in Deutschland neu finden, werden in Brüssel Gesetze gemacht, die unsere wirtschaftliche Zukunft massiv beeinflussen“, erläutert er und nennt beispielhaft die EU-Chemiekalienverordnung. Angesichts solcher Regularien werde es schwer, Lieferketten zurückzuholen. „Wir müssen schnell in Brüssel mitreden und Einfluss nehmen“, forderte Stoffels. 

„Düsseldorfer Erklärung“ im Internet:

www.wirtschaft.nrw